Nihon Hidankyō steht als Japanische Konföderation der Atom- und Wasserstoffbombenopfer seit ihrer Gründung dafür, das Bewusstsein für die katastrophalen humanitären Folgen von Nuklearwaffen zu schärfen und eine Welt ohne Atomwaffen zu fordern.
Die Überlebenden der Atombombenabwürfe, die sogenannten Hibakusha, haben mit ihren eindringlichen Zeugnissen maßgeblich zur Ächtung von Atomwaffen beigetragen. Die Ehrung gilt ihren jahrzehntelangen Bemühungen für eine atomwaffenfreie Welt und ihrem unermüdlichen Einsatz, dass Atomwaffen nie wieder eingesetzt werden dürfen.
Diese Anerkennung durch das Nobelpreiskomitee stärkt auch den internationalen Atomwaffenverbotsvertrag, den seit 2021 dank der weltweiten Anti-Atomwaffenbewegung – zu der die DFG-VK und auch in Deutschland viele weitere Organisationen zählen – 98 Staaten ratifiziert oder unterzeichnet haben. Leider gehört Deutschland nicht dazu. Mehr Informationen dazu findet ihr auf der deutschen Seite der Internationalen Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen
Die DFG-VK in Norddeutschland und auch wir in Bremen hatten in den 70‘er und 80‘er Jahren als Vertreter der Hibakusha Dr. Shintaro Hida zu Gast. Die, die ihn damals erlebt haben, waren von seinen Berichten betroffen und von seinem Engagement und seiner Freundlichkeit beeindruckt.
Dr. Guido Grünewald, Friedenshistoriker und seit 1985 internationaler Sprecher der DFG-VK, schrieb über Dr. Hida im Februar 2019:
Hida Shuntaro (so die korrekte japanische Schreibweise) wurde am 01. Januar 1917 in Hiroshima geboren und starb am 20.03.2017 in Saitama.* Er überlebte als junger Militärarzt den Abwurf der Atombombe in der Nähe Hiroshimas, kehrte kurzzeitig in die Stadt zurück und musste in seiner – im 6 km entfernten Dorf Hesaka errichteten – Nothilfestation weitgehend hilflos zusehen, wie viele Verletzte in den folgenden Wochen an einer scheinbar unerklärlichen Krankheit starben. Dr. Hida beschloss, sich um das Leid der Überlebenden (Hibakusha = Menschen, die an der Bombe leiden) zu kümmern. Er wurde für viele von ihnen zum Vertrauensarzt und erforschte als erster wissenschaftlich das alte Konzept der Burabura-Krankheit (Hauptsymptom anhaltende Müdigkeit) im Zusammenhang mit der Strahlung, der die Hibakusha ausgesetzt waren. 2005 trat er als Zeitzeuge in der BBC-Dokumentation Hiroshima und im Dokumentarfilm White Light/Black Rain des US-Fernsehsenders HBO auf.
Schon während des Medizinstudiums hatte Dr. Hida mit Kommilitonen am Sonntag in einer Kindertagesstätte kostenlos arme Kinder behandelt. Auf direkten Befehl des Erziehungsministers musste er diese Tätigkeit aufgeben, weil – so der Minister – solch liberale Tendenzen im Krieg (1932 Besetzung der Mandschurei und Ausrufung des Satellitenstaats Mandschuko, Juli 1937 Invasion in China) nicht gestattet seien. Dr. Hida war 1953 Gründungsmitglied der Japanischen Vereinigung demokratischer medizinischer Einrichtungen (Min’iren), die heute in ganz Japan über 600 Krankenhäuser und Polikliniken, 80 Zahnkliniken und zahlreiche Pflegeheime betreibt. Die Einrichtungen haben einen guten Ruf, da bei ihnen die Patienten im Mittelpunkt stehen. 1950 hatte Dr. Hida im Bezirk Suginami (Tokio) die Nishi-Ogikubo-Klinik gegründet und als Direktor geleitet. 1953 verlegte er seinen Wohnsitz nach Gyoda (Präfektur Saitama) und gründete dort die Gyoda-Kyoritsu-Klinik, die er ebenfalls leitete. 1978 wurde er Direktor des damals neu gegründeten Gesundheitsberatungszentrums für Hibakusha, das Nihon Hidankyo (der Vereinigung der Überlebenden) angeschlossen ist.
Dr. Hida hatte während seines Studiums die deutsche Sprache gelernt und sie niemals ganz vergessen. Als er ab Mitte der 1970er Jahre begann, als „Botschafter“ der Hibakusha ins Ausland zu reisen, war Deutschland neben den USA für ihn ein bevorzugtes Reiseziel. Mindestens neun Vortragsreisen hat Dr. Hida in Deutschland absolviert; mehrere davon habe ich koordiniert. Die deutsche Friedensbewegung, vor allem die Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), hat Hida-san viel zu verdanken. Er hat nicht nur auf unnachahmliche Weise die Botschaft der Hibakusha – Hiroshima und Nagasaki dürfen sich niemals wiederholen, alle Atomwaffen müssen beseitigt werden – mit tiefem Ernst und großer Leidenschaft verbreitet, sondern auch mit seiner Lebensfreude und dem stets präsenten Humor vorgelebt, über welche Kraft und welches Potential Menschen trotz aller Leiden verfügen. Nie werde ich den gemeinsamen Besuch mit Prof. Satoru Konishi und Rechtsanwalt Masanori Ikeda im Kurort Hakone vergessen oder die Abende, an denen Hida-san deutsche Volkslieder von mir hören wollte und sie selbst sang. Als wir im August 2015 letztmals in Hiroshima zusammentrafen, freute er sich sichtlich.
Der zweite Todestag von Dr. Hida nähert sich. Die gesammelten Berichte tragen hoffentlich dazu bei, dass einerseits die Erinnerung an sein Leben und Wirken fortlebt und andererseits sein Vermächtnis – die Beseitigung aller Atomwaffen – von den Nachfolgenden verwirklicht wird.
* Weitere Informationen zu Dr. Hidas Leben finden sich in seinen Erinnerungen „Der Tag, an dem Hiroshima verschwand. Erinnerungen eines japanischen Militärarztes“, Bremen 1989 und in meiner biographischen Skizze Hida-sans in diesem Buch.